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Chilenische Berglandschaft

Teil 2 | Als Paar zum Farmstay nach Chile

Wenn Erwartungen auf die Realität treffen…

Was wir bei unserem Farmstay in Chile erlebt und gelernt haben:

1. In Chile scheint nicht immer die Sonne

Früh aufstehen ist angesagt. 6.30 Uhr. Die kleine, unbeheizte Holzhütte, in der wir übernachten, quietscht und knarrt, der Wind zerrt daran. Unsere drei (!) Wolldecken halten gut warm, aber die können wir nicht mitnehmen. Wir müssen raus, den Tag beginnen. In Gummistiefeln, die uns die Familie geliehen hat, stapfen wir zum Haupthaus. Zum Frühstück gibt es hausgemachtes Brot mit Rhabarbermarmelade. Dann geht es wieder raus in die Kälte. Es ist Februar und damit offiziell Hochsommer in Chile. Aber wir sind so weit im Süden, dass die Antarktis zum Greifen nah ist. Also sind auch jetzt gerade mal 12 Grad. Der Fjord vor unserer Haustür führt eisiges Wasser, die Spitzen der Berge sind weiß. Wenn man einen Aufenthalt in Chile plant, sollte man bedenken, dass sich hier fast jedes Klima der Erde findet. Da sich das Land von Nord nach Süd über fast 4300 Kilometer erstreckt, ist es gut, einen Blick auf Klimatabellen zu werfen oder bei der anvisierten Farm nachzufragen – und entsprechende Kleidung einzupacken.

2. Der Alltag auf einer Farm ist (fast) nicht romantisch

Janina füttert bei ihrem Farmstay in Chile in Kalb

Nach dem Frühstück füttern wir gemeinsam mit der Farmersfrau die Hühner, ein Kalb namens Mocca und ein Lamm namens Lucia. So weit, so niedlich. Das ist der romantische Bauernhof-Part. Um etwa 8.15 Uhr ist der zu Ende. Und dann kommt die Aufgabenverteilung (die jeden Tag ähnlich ausfällt): Ich als Frau helfe beim Kochen und Wäscheaufhängen, mein Mann soll Holz hacken und dem Hausherrn beim Graskürzen zur Hand gehen. Die Geschlechterbilder hier sind traditionell: Die Frau ist die Hausfrau, kocht und kümmert sich um die Kinder, der Mann ist der Versorger und leistet harte körperliche Arbeit. Am Nachmittag steht dann eine besondere Aufgabe an: Wir zählen gemeinsam die etwa 800 Schafe der Familie und markieren die Jungtiere. Da müssen sich meine (schwachen) Nerven erst dran gewöhnen: die zappelnden Tiere, die mit Kraft festgehalten werden müssen; das vom Ohr tropfende Blut an der Stelle, wo markiert wird, die laut bellenden Arbeitshunde … Und so ist schon am ersten Abend nicht mehr viel von der romantischen Vorstellung eines idyllischen Bauernhoflebens übrig – und wir haben Muskelkater. Was gut ist! Um genau diese Erfahrungen geht es schließlich. Weg aus der Großstadt, Neues kennenlernen und die Komfortzone verlassen.

3. Auf dem Land ticken die Uhren anders

Tom hackt Holz beim Farmstay in Chile

Einen Abend sitzen wir mit dem Hausherrn vorm Fernseher. Er schaut besorgt auf die Anzeige der Batterie, die das Gerät mit Strom versorgt und selbst wiederum von einem Windrad im Garten gespeist wird. „Gleich müssen wir ausmachen“, stellt er fest, „Der Kühlschrank hat Vorrang. Und heute ist so wenig Wind, da reicht der Strom nicht.“ Die Familie, bei der wir wohnen, ist in dieser Hinsicht keine Ausnahme. Die chilenische Landbevölkerung lebt häufig abgeschieden, weit weg von den Annehmlichkeiten der Moderne, die ansonsten in Chile voll angekommen ist. Auf dem Land fehlen oft Internetanschluss, Gasleitungen, Anschluss an das Strom- und Wassernetz. Und so gibt es auf „unserer“ Farm für alles ein eigenes Konstrukt, eine eigene Lösung: Strom wird durch Wind und Sonne gewonnen. Das Wasser kommt aus kleinen Flüssen in der Umgebung. Geheizt und gekocht wird mit Holz. Und auf ihrem Handy hat die Farmersfrau immerhin langsames, mobiles Internet. Die Familie fühlt sich keineswegs benachteiligt, sondern hat das Gefühl von Freiheit und Unabhängigkeit. Sie sagen: „Es ist toll! Wenn das Wasser mal nicht geht, müssen wir nicht bei irgendwelchen städtischen Wasserwerken anrufen, sondern gehen selbst raus, reinigen den Filter– und fertig.“

4. Spanisch ist nicht gleich Spanisch

Mit Englisch kann man sich überall verständigen? Fehlanzeige. Auf unserer Farm, und das ist keine Ausnahme in Chile, spricht man nur Spanisch. Chilenisches Spanisch wohlgemerkt. Das hat den Ruf, schwer zu verstehen zu sein. Und tatsächlich ist der chilenische Akzent für unser passables „Festland“-Spanisch eine echte Herausforderung: Buchstaben oder ganze Endungen werden vernuschelt und es gibt diverse Wörtern, die die Chilenen neu erfunden haben. Hilfreich kann neben den Sprachtipps im Reiseführer zum Beispiel der Kauderwelsch-Sprachführer „Spanisch für Chile – Wort für Wort“ von Reise Know-How sein. Natürlich ist es außerdem sinnvoll, vor Ort viel nachzufragen. Drauf zeigen, sich das Wort sagen lassen, nachsprechen. Und das drei bis sieben Mal. Nach 48 Stunden hatten wir so zumindest die drei Wörter verinnerlicht, die wir während unseres Farmaufenthalts am meisten gebraucht haben: Schaf (oveja), Lamm (cordero) und Feuerholz (leña).

5. Fleisch ist die Regel, vegetarisch die Ausnahme

„Wir essen im Sommer viel Fleisch“, diese klare Ansage schickte uns die Familie bereits im Vorfeld per E-Mail. Als Vegetarierin musste ich erst mal schlucken. Sollte ich sagen, dass ich eigentlich vegetarisch esse? Ich habe eine Weile darüber nachgedacht. Die Rinder, die diese Familie isst, sind nicht aus industrieller Massentierhaltung, sondern leben artgerecht in Patagonien auf großen Wiesen. Also entschied ich mich fürs Fleischessen. Um für vier Wochen wirklich so zu leben, wie die Familie lebt. Das muss natürlich jeder für sich persönlich entscheiden. Man sollte sich aber darüber im Klaren sein, dass die chilenische Landbevölkerung, die Viehzucht betreibt, häufig selbst (viel) Fleisch isst. Und dass das ein Thema ist, das man im Vorfeld ansprechen sollte, wenn man vegan oder vegetarisch lebt. Denn das ist für viele hier nahezu unvorstellbar. Oft gilt die Devise: Große, fleischhaltige Mahlzeiten sind wichtig, um die harte Arbeit durchzustehen.

6. Ohne Kommunikation und Feedback geht es nicht

Wäsche aufhängen bei der Farmarbeit in Chile

Bei dem Aufenthalt bei einer Familie in einem anderen Land treffen immer zwei Welten aufeinander, jeder hat seinen eigenen kulturellen Hintergrund und seine Gewohnheiten. Unsere Erfahrung ist: Da geht nichts ohne Kommunikation. Wenn man nicht mehr kann, sollte man es sagen. Besser ich spreche Klartext und bitte um eine Pause, als ohnmächtig neben einem Schaf zu landen. Wenn man das Essen nicht schafft, sollte man sich entschuldigen und nicht aufessen, statt später mit Magenkrämpfen im Bett zu liegen. Und natürlich ist es auch schön, zu kommunizieren, was einem gut gefällt. Wir haben versucht, immer wieder nachzufragen und unsere Wertschätzung für das zu zeigen, was die Familie leistet. Wir haben uns sowohl persönlich als auch in dem Online-Feedback, das man den hosts bei Workaway geben kann, für die tolle Zeit bedankt. Und sind auch jetzt, einige Monate später, noch per WhatsApp im Kontakt. Alle paar Wochen kommt ein Foto von dem Fjord, der sich mit dem Wetter verändert, und es fühlt sich (so kitschig das auch klingt) ein bisschen so an, als hätten wir am südlichsten Zipfel Südamerikas noch immer so etwas wie ein „Zu Hause“.

Kurz und knapp – unsere Erfahrungswerte:

Don’t forget… 6-Punkte-Checkliste für die Organisation eines Farmstays in Chile:

  1. Vor Abreise ums Visum kümmern: Touristenvisum oder Working-Holiday-Visum?
  2. Entscheiden: Will ich „meine“ Farm auf eigene Faust oder mithilfe einer Organisation finden und kontaktieren?
  3. Bei der Auswahl der Farm auf einen verbindlichen Vorabkontakt achten: Werden alle Fragen beantwortet, die An- und Abreisedaten konkret abgesprochen?
  4. Sich gut über das Wetter informieren: Wie kalt oder warm ist es in der Zielregion?
  5. Arbeitskleidung – ggf. inklusive alter Schuhe oder Gummistiefel – einpacken
  6. Basics in Spanisch lernen

Be prepared… Womit solltest du bei einem Farmstay in Chile rechnen?

  1. Blasen an den Händen und Muskelkater überall
  2. Viel Fleisch auf dem Teller
  3. Auf Internet verzichten zu müssen
  4. Nur auf Spanisch verstanden zu werden
  5. Dir deine Klamotten dreckig (oder sogar kaputt) zu machen
  6. Traditionellen Geschlechterbildern zu begegnen
  7. Romantische Vorstellungen vom Bauernhofleben über Bord zu werfen
  8. … und eine wirklich großartige Erfahrung zu machen!

Hier geht’s zum ersten Teil:

>> Teil 1 | Als Paar zum Farmstay nach Chile: Unsere Erfahrungen auf einem Landgut in Patagonien

Weitere Farmarbeit-Erfahrungsberichte lesen…

>> Alle Farmarbeit-Berichte

Programmtipps für Chile:

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