Leben & Arbeiten im kanadischen Winter
Johanna berichtet von der Farmarbeit in Kanada:
Ein typischer Work & Travel – Aufenthalt in Kanada hätte für mich eigentlich bedeutet eine Sommersaison als Cowgirl auf einer Ranch und den Winter über in einem der beliebten Skigebiete wie Whistler zu verbringen, wo sich dann die Touristen und Work & Traveller tummeln und auf Spaß, unvergessliche Abenteuer und ein bisschen Geld aus sind. Aber nur weil die Hauptsaison auf einer Ranch vorbei ist, die Touristen weg sind und die Pferde sich auf 6 Monate Ruhepause einstellen ist es trotzdem eine Erfahrung wert einfach mal dort zu bleiben.
Dort wo das Leben plötzlich verlangsamt wird, von der Natur bestimmt und die größte Sorge sein wird, dass der Kamin nachts nicht ausgeht. Hier im Kanadischen Nirgendwo, ohne Touristen, ohne Hektik und mit verdammt kurzen Tagen. Hier bin ich geblieben und habe den Wert von Feuerholz schätzen und den Hunger der Puma fürchten gelernt. Mir wurde viel über den Winter in Kanada erzählt. Mir wurde Angst gemacht und mir wurde Glück gewünscht. Ich habe Deutsche kennengelernt die aus purer Liebe zu Kanada ausgewandert sind und nun nach 10 Jahren den Winter nicht mehr sehen können, nur noch weg wollen, irgendwohin in die Sonne. Eigentlich hatte ich keine Erwartungen, nur Vorfreude, Vorfreude auf den Schnee. Und tatsächlich konnte ich nicht genug davon bekommen.

Der Wintereinbruch
Der erste Schnee kam im Oktober, im ganzen Dorf wurde herumerzählt, dass es nachts 20cm Neuschnee geben soll, so richtig konnten ich das eigentlich nicht glauben. Aber tatsächlich von einem Tag auf den anderen war der Winter da und er ging nicht wieder weg sondern blieb bis in den Mai hinein. Schon ab September dreht sich bei der Arbeit auf der Ranch alles um den Winter, die Vorbereitungen, dass Menschen und Tieren die mindestens 6 Monate im Schnee heile überstehen durften nicht unterschätzt werden. Vor allem für die Pferde musste es einen ausreichenden Heuvorrat geben da sobald der Schnee da war nur schwer nachgeliefert werden konnte.
Ansammlung des Holzvorrates

Nun und für die Menschen war wohl der Holzvorrat am wichtigsten, denn niemand wollte auf den Luxus von fließendem Wasser verzichten, wenn erst einmal die Leitungen eingefroren sind. Also wurde wochenlang Feuerholz „gemacht“, das hieß für mich und andere Helfer morgens mit Trecker und Anhänger raus in den Wald, vollgepackt mit Motorsägen, Öl-und Benzinkanistern, Werkzeug, Axt und Seilen. Es musste genug Holz zur Ranch gebracht werden bevor der Schnee kam, trotzdem durften die Touristen nicht vernachlässigt werden, denn es gab noch Buchungen bis Anfang Oktober. Und so haben wir gesägt, gepackt und Anhänger für Anhänger zurück zur Ranch gefahren, um dort das Holz in allen nur Möglichen Ecken und Winkeln zu stapeln, gegebenenfalls noch zu Spalten oder Anfeuerholz zu hacken.
Es mag primitiv klingen, wo man doch hier in Deutschland einfach den Regler an der Heizung hochdreht und sich weiter keine Gedanken darüber macht wo die Wärme eigentlich herkommt. Doch jedem einzelnen von uns hat die Arbeit unglaublichen Spaß gemacht. Und genau als dann genügend Holz da und der letzte Gast abgereist war kam der Schnee und von da an hieß es Wege freihalten. Bis zur nächsten Straße waren es ca. 500m Schotterweg welcher unter keinen Umständen zuschneien durfte, außerdem mussten die Pferde im Winter mit Heu im Wald zugefüttert werden. Um die Pferde zu füttern musste man zweimal am Tag mit einem Pickup oder Trecker raus in den Wald fahren, eine Runde drehen während von der Ladefläche oder einem Anhänger Heu ab geschmissen wurde. Und zu guter Letzt musste der Weg zu den Kühen begehbar sein um morgens und abends im Dunkeln die Kühe zu melken. Für die Pferde bedeutet Winter eine Ruhepause. Nach 6 Monaten Sommersaison, d.h. nach 6 Monaten täglich Touristen durch die Wälder tragen, wussten sie ganz genau was der erste Schnee bedeutet.
Das Leben der Pferde

Die Pferde leben das ganze Jahr über im Wald der zur Ranch gehört. Bevor die Saison losgeht werden sie jeden Morgen hereingeholt und abends wieder herausgelassen. Sobald die letzten Gäste weg sind dürfen die Pferde also wieder Tag und Nacht im Wald verbringen, werden dort zugefüttert und kommen nicht mehr zur Ranch. Aber mehr noch als die Ruhepause zu schätzen wissen vor allem die Tiere die Härte des Winters zu fürchten. In der Vergangenheit wurden schon Pferde von hungrigen Pumas angegriffen oder sind im zugefrorenen See eingebrochen und ertrunken. Für die Pferde gibt es keine warmen Boxen, keine Winterdecken und kein Spezialfutter. Sie wissen wie man mit den Hufen im Schnee nach Futter gräbt und das Winterfell verwandelt sie alle in flauschig dicke Teddybären mit kleinem Bärtchen. Und trotz Schnee und Kälte gibt es nichts schöneres als die dicken Winterstiefel anzuziehen und mit Halfter und Strick hinaus in den Schnee zu stapfen um sich ein Pferd zu holen und mit oder ohne Sattel durch das Winterwunderland zu reiten. Bis ca -15C ist es für die Pferde in Ordnung geritten zu werden und wegen der hohen Rutschgefahr geht es meist sowieso nur im Schritt voran.
Unterschiede zum deutschen Winter
Einer der mit schönsten Unterschiede zum deutschen Winter ist die Sonne. Trotz eisiger Temperaturen und Schnee bis zu den Hüften strahlt die Sonne die meisten Tage. Und so bietet sich ein wunderschönes Bild von einem blauen Himmel, einer strahlenden Sonne und einer weißen Landschaft. Ein Ort und ein Leben um unsere zivilisierten Sorgen zu vergessen. Die Kleidung die man trägt kommt aus dem nächsten Second Hand Laden. Die gibt es in Kanada in jedem Dorf und sind wunderbar um sich günstig mit Wintersachen einzudecken. Vor allem warme Stiefel sind wichtig und mit etwas Glück findet man immer welche in seiner Größe. Die teuren Outdoor Markenklamotten können zu Hause gelassen werden denn die wären sowieso zu Schade um mit Schneematsch, Heu und Schweinefutter paniert zu werden. Die Abende vor dem Kamin sind lang und perfekt um die Hektik der heutigen Welt hinter sich zu lassen, nach getaner Arbeit fühlt man sich gut, man hat der Kälte getrotzt, die Tiere leben und sind wohl auf, es gibt fließend Wasser und der Storm ist auch noch da. Die Welt ist in Ordnung und mehr Sorgen gibt es in diesem Moment nicht.
Das wirkliche Kanada kennenlernen

Natürlich kann das Ballkleid zu Hause gelassen werden und jeden Abend Party mit andern Backpackern im Hostel wird es auch nicht geben, aber dafür lernt man die wirklichen Kanadier kennen. Die Menschen die mit der Natur aufgewachsen sind, die dein Auto reparieren und ein Pferd behandeln können weil die Anfahrtskosten des Tierarztes einfach zu hoch sind. Die Menschen deren Highlight ein Karaokeabend im Pub ist oder der monatliche Einkauf in der 2 Stunden entfernten Stadt. Keine Touristen, keine Auswanderer, Kanadier die stundenlang Geschichten von Erlebnissen mit wilden Tieren erzählen können und dir zum Abendessen ein Stück selbst geschossenen Büffel mitbringen. Denn nur diese Menschen sind da wo der Winter hart ist, die Tage kalt und die sternenklaren Nächte lang sind.